Der Swing ist eine Basis-Übung in meinen Programmen seit rund 14 Jahren.
Die Kettlebell wird nach hinten zwischen die Beine geführt, von hier mittels explosiver Streckung der Hüfte beschleunigt bis auf Schulterhöhe (Position der „standing plank“) und unter Aktivierung des Rückens durch die Schwerkraft in die Ausgangsposition zurückgebracht. Mehr Wiederholungen sind mehr Kontraktionen, wodurch die Übung automatisch eine stark cardiovaskulär-metabole Komponente hat und somit ihren Platz im Conditioning und Cardio-Bereich als „breather“. Daraus folgt, dass mehr Wiederholungen eine höhere cardiovaskuläre Belastung bedeuten und somit bessere Anpassungen auf Ebene des Herz-Kreislaufsystems bedeuten, also die „Ausdauer“ steigern.
Auf dieser Basis habe ich den Swing über Jahre eingesetzt, in vielen Fällen mit sehr hohen Wiederholungszahlen. Gerne habe ich 20+ Wiederholungen der Übung in Programme geschrieben, zeitweise 30 oder 40. Der Hintergrund hierfür lag vor allem in meiner Sozialisierung durch CrossFit, wo der Swing gerne als American Swing (die Kugel wird überkopf geführt) programmiert wird und hier ebenfalls in sehr hohen Wiederholungszahlen.
Diesen Ansatz habe ich in den letzten fünf Jahren radikal verändert.
Der Deadstop Swing
Der Grund dafür war der zunehmende Einsatz des Deadstop Swings – oder Start-Stop-Swing – bei dem die Kugel bei jeder Wiederholung komplett abgesetzt wird und die komplette Bewegungsausführung jedes Mal aufs Neue vom „dead stop“ aus initiiert wird – im Gegensatz zum regulären Swing, bei dem es nicht zum „toten Punkt“ kommt, sondern die Kugel, wenn sie zwischen den Beinen angekommen ist, sofort wieder nach vorn geschwungen wird.
Der Einsatz des Deadstop-Swings machte für mich den enormen Unterschied in Power-Output, technischer Perfektion und Muskelaktivierung deutlich, der besteht, wenn man die Kugel immer zum ersten Mal oder aber wenn man sie zum dreißigsten Mal hintereinander schwingt.
Ja, die Atmung ist konstant erhöht beim dreißigsten Schwung in Folge, aber gleichzeitig ist ein signifikanter Drop-Off im Power-Output und der Explosivität zu beobachten, der aus einem explosiven, schnellen und kraftvollen Sprint einen moderaten Dauerlauf macht.
Jemanden zu beobachten, der beim dreißigsten Swing krampfhaft versucht noch den Anschein einer explosiven Hüfte zu bewahren ist der Moment, in dem man viel über das Leben lernt – weil unmittelbar ansichtig wird, dass es nicht funktioniert. Eine ballistische Übung dreißig Mal hintereinander auszuführen macht aus Ballistik eine winkende chinesische Katze, die uninspiriert auf und ab wippt.
Der Swing lebt von Power und Explosivität, wenn man ihm beides nimmt, verliert er seine Macht.
Das A+A Protokoll
Damit war klar, dass ich die Wiederholungen reduzieren musste – aber würde ich damit den kardiovaskulären Benefit der Übung opfern? Würde der Swing seine Kraft verlieren, für eine „big engine“ zu sorgen, ohne einen Fuß vor den anderen setzen zu müssen?
Durch einen Zufall stieß ich bei StrongFirst auf einer der frühen Versionen des sogenannten A+A Protokolls – Alactic + Aerobic. Ohne hier zu tief in die Details gehen zu wollen – was in Pavels Quick and the Dead oder Kettlebell Axe möglich ist – wird die Power-Komponente in diesem Protokoll mit der aeroben Komponente kombiniert.
Aus der Tatsache, dass der perfekt explosive Kettlebell-Swing exakt 1.5 Sekunden dauert konnte ich mein A+A Protokoll extrahieren: 1 Swing alle 15 Sekunden – was einer Work-to-Rest-Ratio von 1:9 entspricht, ein ideales Protokoll für die Entwicklung anaerob-alaktazider Kapazität. Diesen einen Swing alle 15 Sekunden für 20 Minuten auszuführen bringt die zweite Komponente ins Spiel: Ausdauer.
Die Erholung ist lang genug, damit die Form, Power und Rekrutierung der richtigen Muskeln nicht leidet, die Wiederholung sorgt dafür, dass das Herz-Kreislaufsystem konstant arbeiten muss.
Ich entwickelte drei Variationen des A+A Protokolls:
20 Minuten – Kurzstrecke (insgesamt 80 Swings)
30 Minuten – Mittelstrecke (120)
45 Minuten – Langstrecke (180)
(und eine Ultra-Variation mit 60 Minuten, 240 Swings, die den absoluten Freaks vorbehalten bleibt).
Wenn ich mir Auswertungen der Herzfrequenz der Einheiten ansah wurde deutlich, dass die Belastung konstanter und intensiver war. Der kardiovaskuläre Effekt war signifikant größer als in meinen vorherigen Settings, gleichzeitig war die Technik deutlich besser und die Ermüdung geringer. Zudem konnte insgesamt viel mehr Gewicht bewegt werden – für die meisten Männer ist das Power-Gewicht (1-5 Swings) eine 32er Kugel, während das sehr leichte Cardio-Gewicht (20+) eine 16er Kugel ist.
Das A+A Protokoll bildete für mich das Paradigma, vor dessen Hintergrund ich meine Swing-Programmierung komplett veränderte.
Die Trainingszonen
Ich definierte vier Trainingszonen:
- Max. Power – sehr schweres Gewicht, Maximum – 1-3(-5) Wiederholungen
- Alactic / Power – schweres Gewicht, knapp sub-max – 3-8 Wiederholungen
- Capacity – moderates Gewicht – 8-15 Wiederholungen
- Aerobic – leichtes Gewicht – 15+ Wiederholungen
- (Cardio – sehr leichtes, kaum relevantes Gewicht – 20+ Wiederholungen)
Für jede Trainingszone definierte ich eine zentrale Trainingsmodalität:
- Max. Power – A+A Protokoll – 1 Swing pro 15 Sek. für 20 Minuten (80 Swings)
- Alactic – 5/30 Protokoll – 5 Swings alle 30 Sek. X4 / 90 Sek. Pause (=20 Swings) x4 (=80 Swings)
- Capacity – 10x10 Protokoll – 10 Swings alle 2 Minuten oder 90 Sekunden (100 Swings)
- Aerobic – 30/30 Protokoll – 20 Swings jew. auf die volle Minute für 10 Minuten (200 Swings)
In dieser Progression ist damit sichergestellt, dass die Minimum Effective Dose an Volumen für den Swing erreicht ist (75 Wiederholungen in einer Einheit), aber die maximal tolerierbare Dosis auf einer täglichen Basis (200) nicht überschritten wird.
Für den Deadstop-Swing liegen diese Zahlen etwas darunter: ich möchte mindestens 25 Wiederholungen pro Einheit, aber nie mehr als 100.
Der Max. Power Bereich ist für den Deadstop-Swing identisch bis auf die Minuten, hier sind es 5, 10 oder 20 Minuten, die anderen sehen wie folgt aus:
- Alactic – 10x5 Protokoll – 5 Deadstop Swings auf die volle Minute für 10 Minuten (50)
- Capacity – 90/8 Protokoll – 8 Deadstop Swings alle 90 Sekunden für 10 Sets (80)
- Aerobic – 10x10 Protokoll – 10 Deadstop Swings alle 2 Minuten für 10 Sets (100)
Die Zusammenführung in der Swing-Matrix
Damit ist klar, in welchen Wiederholungsbereichen ich den Swing mit welchem Gewicht einsetze und mit welcher Pause ich arbeite. Lediglich im Bereich Capacity und Aerobic kombiniere ich den Swing in einem Mixed Modal Setting (oder einem „Zirkeltraining“) mit anderen Übungen, klassischerweise wäre hier eine Kombination von 30 Sekunden Swing gefolgt von 30 Sekunden Unterarmstütz und dann 30 Sekunden Pause denkbar.
Mit dieser klaren Struktur kann ich den Swing zielgerichteter, strukturierter und progressiv einsetzen, ohne in die Gefahr der übermäßigen Ermüdung oder des Formverlustes zu geraten. Die Verletzungsgefahr wird minimiert, der Power-Output bleibt hoch – und der Swing wird von der dämlich grinsenden Winkekatze wieder zum Raubtier.
Viel Erfolg mit der Umsetzung dieser Programming-Insights in der Praxis!
Einmal im Jahr führen wir bei Team Tarek die Kettlebell Swing Challenge durch, bei der einen Monat lang fast nur geschwungen wird. Unsere nächste Swing Challenge startet im Sommer 2024. Wer Interesse an einer früheren Challenge hat, findet unsere 2023er Version HIER.
Trainingszone / Intensität | Intensität | Wiederholungs-bereich | Modalität | Trainingsvorgabe | Deadstop Variation | Volumen (Volumen Deadstop) |
Max. Power / Alactic Power | Max.Gewicht (sehr schwer) | 1-3(-5) | A+A Protokoll | 1 Wh. alle 15 Sek. für 20/30/45 Min. | Identisch (kürzer) | 80 (20, 40, 80) |
Power / Alactic Capacity | Schwer | 3-8 | 5/30 Protokoll | 5 Wh. auf die 30 Sek. x4 / 90 Sek. Pause / x4 | 10x5 Protokoll | 80 (50) |
Capacity / Lactic Power | Moderat | 7-15 | 10x10 Protokoll | 10x10 auf die 2 Minuten | 90/8 Protokoll | 100 (80) |
Aerobic / Lactic Endurance | Leicht | 15+ | 30/30 Protokoll | 20 Wh. in 30 Sek. auf die volle Minute x10 | 10x10 Protokoll | 200 (100) |