Die Frage
Hi Tarek, du sagst in meiner Situation ist Spinning Blödsinn. Ich will ja abnehmen und Muskulatur aufbauen. Ist Spinning da nicht gerade gut, weil es so viele Kalorien verbrennt?
Die Antwort
Hallo,
ich halte es da mit folgender Wahrheit:
Jeder Trottel kann einen anderen Trottel müde machen.
Besser wird dadurch keiner der beiden.
Diese abgewandelte Form eines Bonmots von Professor Verkhoshansky bringt auf den Punkt, was das trainingswissenschaftliche (!) Problem mit vielen "Entertainment"-Sportarten ist, zu denen auch Spinning zählt.
Spinning ist hier verstanden als eine Gruppenaktivität in einem Raum, bei der die Teilnehmenden meist unterstützt durch Laute Musik und oft grelle Lichteffekte gemeinsam auf ihren als "Bikes" bezeichneten Indoor Fahrrädern zum Beat fahren und dabei von einem "Instructor" angefeuert werden.
Das besondere dabei ist, dass nicht einfach gemütlich "geradelt" wird, sondern immer wieder Sprints eingebaut werden, Erholungsphasen Tempo-Intervalle.
Die Motivation ist in der Regel sehr hoch, was durch die besondere Atmosphäre unterstützt wird. Dadurch ist eine Spinning Einheit mitunter sehr energieintensiv und subjektiv "anstrengend".
Da ein hohes Maß an Anstrengung von den meisten normalen Trainierenden als Signal für die Effektivität eines Trainings angesehen wird, hat Spinning daher die Reputation besonders "effektiv" zu sein.

Spinning im Fitnesstudio // Foto by Tursk auf Unsplash.
Von einem Trainingsstandpunkt aus stellt sich das anders dar.
Anstrengung ist hier keine besonders förderliche Kategorie, zumindest nicht, wenn es die einzige ist. Fatigue masks Fitness ist eine wichtige Regel in der Trainingsplanung.
Spinning zielt aber genau darauf ab - eine enorme Körperliche Anstrengung gepaart mit lauter Musik und wummernden Beats, eine sehr geringe technische Komponente und dadurch eine nicht existente Verletzungsgefahr - das ist das Rezept des Spinnings.
Anpassungen aber, die über unspezifische Anpassungen des Herz Kreislaufsystems und einen anfänglichen Gewichtsverlust durch den hohen Energieaufwand hinausgehen sind kaum zu erwarten.
Es fehlt eine Kraftkomponente, da keine relevanten Widerstände bewegt werden (das gilt für alle Group Fitness Classes). Muskelaufbau ist nicht das Ziel und findet ebenfalls nicht statt.
Und das kardiovaskuläre System braucht etwa 6 Wochen, bis es sich an die neue Belastung gewöhnt hat, dann wird es nur noch sehr wenige weitere Anpassungen vornehmen. Denn Spinning ist zwar ein Intervalltraining, bleibt aber immer in einem submaximalen Belastungsbereich bei ungefähr 85%.
Das liegt einfach daran, dass die Klassen in der Regel eine Stunde dauern und nicht darauf ausgelegt sind, sehr kurze Maximalbelastungen mit sehr langen Pausen von 6, 8 oder 10 Minute zu kombinieren.
Dadurch bleibt auch die Anpassung im 85% Bereich - der zwar einen hohen Energieaufwand entspricht (viele Kalorien werden "verbrannt"), aber kaum Verbesserungen auf physiologischer Ebene bietet.
Ja, Spinning sorgt dafür, dass man mental in der Lage ist, länger in einem unangenehmen Bereich (es "brennt" dabei in der Regel) durchzuhalten, aber körperlich passiert wenig.
Denn um laktatorientiert trainieren zu können - sprich dem Körper beizubringen, Laktat besser puffern zu können - müssten die Intervalle ganz anders aufgebaut, die Pausen länger, die Belastungen individueller gesteuert sein.
All das kann im Group Setting natürlich nicht geleistet werden.
Auch das Progressionspotential ist endlich und der Newbie Effekt (die Wirkung einer Intervention, die allein dadurch entsteht, dass es ein neuer Reiz ist) flacht nach spätestens acht Wochen ab.

Spinning Bike.
Von einem gesundheitlichen Standpunkt ist es natürlich viel besser als nichts zu tun, d.h. wer sich zu Spinning durch die besondere Atmosphäre motivieren kann, zu anderem Sport jedoch nicht, der oder die sollte es unbedingt tun.
Wer gesund ist, dürfte nicht mit Problemen konfrontiert sein, in der Regel ist es auch für angeschlagene Gelenke gut tolerabel.
Wer jedoch mit bestimmten Zielen trainiert, der oder die sollte sich sehr genau überlegen, ob Spinning und Konsorten eine gute Idee sind.
Man generiert Ermüdung und hat wenig Effekt. Ein Übertrag auf andere Sportarten besteht kaum, spezifische Ausdauerqualitäten lassen sich in der Sportart selbst meist besser trainieren. Für die Körperkomposition hat es einen Anfangseffekt, danach flacht er ab.
Als Tool um Energie zu verbrauchen ist Spinning viel zu Regenerationsintensiv zudem kostet es Muskelmasse. Schließlich ist die Wirkung auf den Stressabbau zu nennen, die aber häufig marginal bleibt.
Menschen, die ohnehin viel Stress haben und immer "on" sind profitieren in der Regel auf Dauer nicht von einer Aktivität, die die Primärdefinition von "on" darstellt.
Was primär bleibt ist das Gefühl, sich richtig verausgabt zu haben, gerade am Anfang ein besonderer Muskelkater und natürlich der Spaß.
Genau in diese Kategorie ordne ich Spinning und die meisten anderen Klassen demnach auch ein: "Entertainment"-Sport.
Hier steht weder der sportliche noch der Trainingsaspekt im Vordergrund, sondern lediglich der Entertainment-Faktor.
Dazu zählen simples tanzen Gehen, Step Aerobic, Spinning, Bodypump und Konsorten, Zumba, also alle Aktivitäten die vergleichbar sind mit einmal in der Woche in einer Sporthalle einfach hin und her rennen ohne genaues Ziel.
Das kann Spaß machen, es kann anstrengend sein, aber aus Trainingssicht ist es weder besonders effektiv noch zielführend. Das macht all das nicht zu schlechten Aktivitäten, sondern disqualifiziert sie lediglich als "Training" in einem strengen Wortsinne.

Bewegung ist nicht gleich Training.
Takeaways
Spinning hat genau wie andere Group Fitness Classes einige Vorteile:
Man motiviert sich leichter.
Man strengt sich an und geht an Grenzen.
Man tut etwas für das Herz-Kreislauf-System
Hohe Spaßkomponente
Der Einstieg fällt leicht.
Aber:
Man darf kaum Progression über die ersten 6 bis 8 Wochen hinaus erwarten.
Man generiert ein sehr hohes Maß an Ermüdungm, was unter Umständen mit anderen Sportarten / Aktivitäten interferiert.
Hoher globaler Stress.
Und: Du wirst nicht besser in etwas.
Spinning ist damit keine schlechte Form der Bewegung. Es ist allerdings kein Training.
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