Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es auf Jahrmärkten zahlreiche Gestalten, die alles Mögliche verkauften – in vielen Fällen Wundertinkturen, die nahezu alles heilen sollten. Alternative Heilmethoden, weil die Schulmedizin nicht mehr weiter wusste – und ihre Prediger kennt man heute als Scharlatane (wer über die Kulturgeschichte der Scharlatanerie lesen möchte, dem sei dieses Buch empfohlen).
Unser Jahrmarkt ist das Internet, unsere Wunderheiler sind InfluencerInnen und heilbringende Mittel mit exotisch klingenden Namen oder besondere Strategien, die alles verändern sollen.
Das Problem ist nicht immer der inhaltliche Ansatz der Scharlatane, sondern ihre besondere Botschaft: sie propagieren einen „das ist die Antwort auf alle Fragen“-Ansatz, one size fits all.
Der Grund dafür ist selbstverständlich banale Profitgier: wenn ich eine Antwort habe, und es schaffe, sie als die Antwort auf alle Fragen zu verkaufen, brauche ich keine weiteren Antworten zu suchen und werde trotzdem reich.
Wenn eine Fledermaus bei dir klingelt, lass sie nicht rein
Niemand würde einer Fledermaus glauben, die morgens an der Tür klingelt und aufgeregt sagt: mit diesem Fly-Kit habe ich Fliegen gelernt, kauf es, dann kannst du das auch.
Interessanterweise sind wir geneigt, diese Botschaft vollständig zu glauben und unser Geld mit beiden Händen aus dem Fenster zu werfen, sofern sie uns auf Social Media hübsch aufbereitet präsentiert wird – denn Fliegen wollten wir alle schonmal.
Wer hingegen relativ zielsicher herausfinden möchte, wer im Internet dem Hang zur Scharlatanerie erlegen, hält sich am besten an drei einfache Regeln.
Regel 1 – Glaube keinem Full Day of Eating
Eine beliebte Strategie, um Fastenkuren, Ernährungskonzepte und Diäten zu verkaufen ist das bei mir hats funktioniert-Prinzip. Dieses Prinzip beruht auf der Tatsache, dass wir empfänglich für Empfehlungsmarketing sind – und wenn uns Leute, denen wir vertrauen und die ähnliche Themen haben wie wir selbst etwas empfehlen, bringen wir dem Produkt einen Vertrauensvorschuss entgegen.
InfluencerInnen arbeiten tagtäglich daran, so sehr ein Teil unseres Lebens zu sein, dass wir sie als Bezugspersonen begreifen. Allein durch ihre Persönlichkeit tendieren wir dabei dazu, InfluencerInnen zu folgen die ähnliche Lebensthemen haben wie wir.
Junge Mütter werden häufig den Content von jungen Müttern konsumieren, männliche Bodybuilder wiederum den von männlichen Bodybuildern. Wer in einer ähnlichen Lebenssituation ist, hat meistens ähnliche Probleme – und wer eine Methode gefunden hat, diese Probleme zu lösen, dem oder der hören wir zu.
Soweit ist an diesem Mechanismus nichts Verwerfliches – allerdings wird eine Falle daraus, wenn wir es mit konstruierten Persönlichkeiten und Problemen zu tun haben.
Denn die meisten Online-Personalities verdienen ihr Geld damit, Probleme zu benennen und Lösungen dafür zu verkaufen – und in keinem Sektor ist das so unmittelbar ersichtlich wie im Bereich der Ernährung.
Wir alle streben danach, den einen Ernährungsansatz zu finden, der uns jung, gesund und schlank hält, und bei dem wir trotzdem genießen können. Und wenn uns jemand sagt, dass er oder sie genau den gefunden hat, dann hören wir zu.
Wenn uns eine Melissa begeistert ihren Full Day of Eating vorstellt, der lecker aussieht, aus drei bis vier vollwertigen Mahlzeiten besteht, mit einigen Süßigkeiten im Gepäck, der keinerlei Verzicht darstellt und sie trotzdem schlanker als Heidi Klum mit 50 ist, dann hören wir aber ganz genau zu.
Eine bessere Marketingstrategie gibt es kaum – und genau das macht die Strategie so perfide und verdächtig. Wer auf Social Media erzählt, was er oder sie isst oder nicht isst und dir erklärt, dass du es genauso machen solltest, berät dich nicht in Ernährung, sondern er oder sie verkauft dir etwas. Bei Beratung geht es um Dich, nicht um das, was jemand macht, der 24/7 in ein Handy spricht und dir ein Produkt oder Programm verkaufen will.
Aus diesem Grunde sind Strategien wie „bei mir hat dieser Ernährungsansatz funktioniert, dir wird es auch helfen“ immer eine Red Flag.
Dahinter steckt nichts anderes als perfides Marketing.
Regel 2 – Kauf kein Formel 1-Auto als FahranfängerIn
FitfluencerInnen arbeiten gern mit unglaublichen Transformationen oder eindrucksvollen Übungen, zitieren elaborierte Trainingskonzepte oder komplexe Studien zu Trainingsmethoden, die noch bessere Fortschritte bringen.
All das mag für sich genommen valide sein und überzeugend wirken – aber es ist letztlich als würde dich jemand bei der Formel 1 zuschauen lassen und dich davon überzeugen, einen Formel 1-Wagen als erstes Auto zu kaufen, obwohl du noch nicht einmal einen Führerschein hast. Es kostet dich viel, sehr viel Geld, bringt dir aber nichts, gar nichts für dein Ziel.
Wer ständig auf Social Media trainiert, trainiert Niemanden außer sich selbst - keine gute Visitenkarte für Tips zum Thema Training.
Aus “ich mache es immer so” folgt nicht logisch “deshalb solltest du es auch so machen” - das Gegenteil ist der Fall. Glaub Niemandem auf Social Media, der mehr mit dem eigenen Training und Körper beschäftigt ist als mit allem anderen.
Regel 3 – Eistonne
Regeneration findet nicht in einer Eistonne statt. Für dich schon gar nicht. Wer auch immer wann auch immer behauptet, dass dein Energielevel, deine kognitive Leistungsfähigkeit, deine Performance, dein Körperfettverlust oder dein Muskelaufbau in irgendeiner Form mit Eisbaden und irgendetwas anderem zu tun hätten – er oder sie lügt.
Eisbaden ist eine valide Strategie für viele Dinge – und nichts davon ist für dich notwendig, wenn du das hier liest. Daher spare das Geld für den Eistonneninfluencer und nutze es für sinnvolle Dinge.
Bücher über Training, Ernährung und Regeneration wären ein guter Ansatz.
Viel Erfolg mit der Entlarvung von ScharlatanInnen in der Praxis.