‚Squat Every Day‘ ist eine der schönsten Anweisungen der Kraftsportwelt. Auch wenn die Idee alles andere als neu ist, haben das Konzept und das Motto erst in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit erfahren.
Zurück geht die Formel auf Matt Perryman, der 2013 „Squat Every Day: Thoughts on Overtraining and Recovery in Strength Training” veröffentlicht und damit eine Problematik aufgegriffen hat, die seit langem zwischen Theorie und Praxis changiert: die These von Übertraining und Regeneration, bzw. dem Verhältnis beider Faktoren.
Das Buch ist keine klassische Sammlung von Squat-Programmen, sondern interessiert sich vielmehr für die neurologischen Grundlagen von Krafttraining und die Frage, warum bspw. in der bekannten ‚Bulgarian Method‘, also der Trainingsmethode bulgarischer Gewichtheber, mit so hohem Volumen, so hoher Intensität und so hoher Trainingsdichte trainiert werden konnte, scheinbar ohne, dass Übertraining zum Problem wurde.
Die Basics von Perrymans Ansatz
Das Schlagwort ‚Squat Every Day‘ verweist aber schon auf die Zielsetzung: Kniebeugen oder eine Variante davon sollten jeden Tag durchgeführt werden. Nahezu immer wird dabei mit recht hohen Intensitäten trainiert und jeden Tag auf ein Tagesmaximum hingearbeitet, das dann mit Back Off-Sets im 70-80% Bereich abgesichert wird.
Die ‚Squat Every Day‘-Methode überträgt also im Prinzip Grundideen der ‚Bulgarian Method‘ – die, um es noch einmal deutlich zu sagen, auf Olympisches Gewichtheben ausgelegt war – auf das Krafttraining und setzt die Kniebeuge und ihre Varianten ins Zentrum. Sie geht im Kern davon aus, dass durch das extrem hohe Volumen und die hohen Intensitäten enorme Benefits für den Trainierenden entstehen: mehr Kraft, mehr Muskelwachstum, mehr Beweglichkeit und – tatsächlich – eine verbesserte kardiovaskuläre Ausdauer.
Der neuronale Parameter
Zudem sieht Perryman einen Vorteil in der neuronalen Adaption: kaum eine andere Übung bringt in ihren Haupt- und Nebenvariationen einen so komplexen neuronalen Stimulus wie die Kniebeuge mit sich.
Kaum eine andere Übung verlangt eine ähnlich vollständige Rekrutierung sämtlicher Muskelfasern wie die Kniebeuge und ihre Varianten, sofern sie schwer und über die gesamte Range of Motion durchgeführt wird.
Damit trainiert sie effektiv die neuronalen und nervalen Prozesse, die zur Ansteuerung und Aktivierung der Muskulatur führen – und wiederholt und bis zur Erschöpfung durchgeführt tut sie das unter enormer Last und Ermüdung, wodurch der Trainingseffekt maximiert wird.
Kraft kommt nur in zweiter Linie aus den Muskeln. In erster Linie resultiert sie aus einer verbesserten Ansteuerung und stärkeren Aktivierung der Muskelfasern (Rekrutierung und Frequenzierung).
Die "Grundregeln" von Perrymans Programm
Perryman führt einige simple Regeln ein, die erste und wichtigste ist ein Zeitlimit: für das Erreichen des Tagesmaximums bleiben maximal 15 Minuten. Danach folgen die Back Off-Sets und es geht zur nächsten Übung.
Weitere Regeln sind die unbedingte Vermeidung von erzwungenen, unsauberen Wiederholungen. Kreuzheben sollte ein- bis zweimal pro Woche ergänzt werden, alle 2-4 Wochen wird eine ‚Deload-Week‘ durchgeführt, die bei 80% des Maximums stoppt und das Volumen reduziert.
Eine finale Regel bringt die ‚Squat Every Day‘-Methode jedoch auf den Punkt: “Show Up and Squat even when You feel like Shit.”
Durch das jeweilige Tagesmaximum und die dadurch eingebrachte Verbindung mit der Tagesform gibt es einen Selbstregulierungsmechanismus, der den oder die SportlerIn vor Verletzungen bewahrt (oder zumindest bewahren sollte).
Das "Programm" im Detail
Kniebeugen. Oder eine Kniebeugen-Variation.
Jeden Tag. Mehr sieht Perryman zunächst nicht vor.
Es gibt inzwischen zahlreiche inhaltliche Interpretationen des Programms, eine der sinnvollsten ergänzt die jeweilige Kniebeugen-Variation mit einer Push-Übung (Bankdrücken, Overhead Press, enges Bankdrücken) und einer Zugübung (Klimmzug-Variationen oder Kreuzheben).
Das sieht im Detail dann so aus:
Montag: Squat & Bench Press
Dienstag: Squat & Pull
Mittwoch: Squat & Schultern
Donnerstag: Squat & Arme
Freitag: Squat & Brust / Rücken
Samstag: Squat
Sonntag: Squat
Ob man damit das ideale Trainingsprogramm für sich gefunden hat, ist zumindest fraglich, ist aber auch im Endeffekt gar nicht das, worum es bei ‚Squat Every Day‘ geht.
Warum das ‚Squat Every Day‘-Prinzip so viel mehr bedeutet, als jeden Tag zu beugen
Die Kniebeuge gilt als die Königin unter den klassischen komplexen Übungen. Mehr als dreimal pro Woche schwer zu beugen – für die meisten Experten nach wie vor eine Unmöglichkeit. Übertraining, Regeneration und Ermüdung des ZNS (Zentralen Nervensystems) sind die Argumente, die vorgebracht werden.
Das ‚Squat Every Day‘-Prinzip bricht damit – und das aus einem erstaunlich modernen Grund, der gerade von der sogenannten ‚Neuroathletik‘ sehr stark gemacht wird.
Übertraining ist zunächst einmal eine Frage der kognitiven Bewertung bestimmter Symptome. Die Medizin weiß inzwischen, dass die Verarbeitung von Stress in hohem Maße der geistigen Bewertung des Individuums unterliegt.
Das ‚Squat Every Day‘-Programm tut im Grunde nichts anderes, als den Sportler schrittweise einem immer stärkeren Stress auszusetzen – graduell und vorsichtig, aber progressiv.
Damit zielt die Methode eigentlich nicht auf eine Verbesserung der Kniebeuge, nicht der Maximalkraft, noch nicht einmal der sportlichen Leistung.
Im Kern geht es darum, den Körper – als Ganzes gesehen – stressresistenter zu machen und an Belastungen anzupassen, die nicht mehr als Stress, sondern als gewohnte Belastung empfunden werden sollen, die keine besonderen Reaktionen des Körpers mehr hervorruft.
Es geht nicht um Kniebeugen. Nicht um Kniebeugen, die jeden Tag durchgeführt werden. Es geht vielmehr darum, Prinzipien, die in der Annäherung an das eigene Training gelten, anzuwenden auf das Verständnis der eigenen Psyche und des eigenen Umgangs mit Belastung.
Das macht das ‚Squat Every Day‘-Programm zu weit mehr als einem Trainingsprogramm – nämlich zu einem Ansatz, Stress und Belastungen des Alltags durch neuronale Trainings- und Anpassungsstrategien besser be- und verarbeiten zu können.